Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. (2 Kor 1,3f.)
Liebe Schwestern und Brüder,
dieses biblische Wort steht im 2. Korintherbrief, also jener Epistel, die am kommenden Sonntag Lätare in unseren Kirchen verlesen werden würde. Schweren Herzens haben wir den Gemeinden unserer Nordkirche die Absage der Gottesdienste empfohlen. Die Gründe dafür sind in unseren Handlungsempfehlungen klar benannt: Überall dort, wo Menschen zusammenkommen, kann das Corona-Virus übertragen werden.
Wir wollen durch die Absage unserer Veranstaltungen diese Infektionskette durchbrechen, um die Verbreitung des Virus zu verzögern. Denn kirchliches Handeln soll dem Leben dienen und es nicht gefährden. Bei allen Maßnahmen versuchen wir uns leiten zu lassen von der Grundhaltung der Nächstenliebe, der Fürbitte und der Verantwortung für andere.
Der zeitweilige Verzicht auf unsere vertrauten Gottesdienste und auf sonstige Zusammenkünfte ist also vernünftig – und doch fällt er nicht leicht. Denn Kirche ist Versammlung um Wort und Sakrament, Kirche ist gemeinsames Singen, Kirche ist Kita, Kirche ist Flüchtlingscafé, Kirche ist Gemeinschaft auch und gerade mit den Schwächsten der Gesellschaft. Vieles davon ist ohne persönliche Begegnung nicht möglich. Und die Türen unserer Kirchen sind ja nicht die einzigen, die jetzt verschlossen bleiben müssen.
Auch Schulen, Theater, Museen, Jahrmärkte, Konzerthäuser bleiben zu, der gesamte öffentliche Raum leert sich. All das schafft Verunsicherung und befördert Ängste. Jüngere Menschen mögen fehlende persönliche Begegnung noch durch soziale Medien kompensieren, doch viele Ältere fürchten die Einsamkeit.
Die Corona-Krise ist eine Herausforderung, die buchstäblich unter die Haut geht. Sie hat innerhalb von zwei Wochen in rasender Schnelligkeit jegliche Normalität durchbrochen. Der Alltag mit all seinen Äußerungen von Beziehungsnähe gehört der Vergangenheit an. Und niemand kann verlässlich sagen, wann dieser Ausnahmezustand enden wird.
Wir erleben auf einmal hautnah, wie wenig tatsächlich unser Leben abgesichert und planbar ist. Eine Einsicht, die im Alltag gerne verdrängt wird – und die nun existentielle Realität geworden ist. Frühere Generationen haben solche Epidemien gelegentlich als „Prüfung“ verstanden.
Wenngleich die damit oft verbundene Vorstellung eines willkürlichen oder gar strafenden Gottes für uns nicht mehr nachvollziehbar ist, so scheint das Bild der Prüfung selbst gar nicht abwegig: Das Corona-Virus stellt unser Gesundheitssystem ebenso auf den Prüfstand wie die weltwirtschaftlichen Verflechtungen, unsere Art zu Reisen oder die Geschwindigkeit, mit der wir Nachrichten im Sekundentakt konsumieren. Die Krise unterzieht nicht nur unsere Gesellschaft, sondern auch unsere Kirche einer Art Stresstest. Sind wir dieser Erschütterung gewachsen?
Die erzwungene Auszeit, die wir gewissermaßen erleben, weckt Ängste und ist eine Zumutung. Aber sie bietet auch Raum zum Innehalten und Sich-Gewiss-werden, dafür, was uns wert ist und wirklich teuer. Sie schafft Raum dafür, dass wir neu nachdenken über Krankheit und Sinn, das Leben und den Tod – jetzt in der Passionszeit. Neu nachdenken über den Schutz des Lebens und die Würde jedes Menschen – und fragen: Wie wird Achtsamkeit heute konkret?
Vielleicht hilft die Erinnerung daran, dass wir als Gemeinde Jesu Christi eben nicht einfach eine beliebige Agenda haben, sondern einen Auftrag, verbunden mit einer Verheißung: Wir werden getröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Es sind so aufrichtende Worte zu Lätare, zum „kleinen Ostern“!
Und überall ist zu merken, dass genau dies gesucht wird, dass wir gerade in dieser krisenhaften Zeit als Kirche für die Menschen wichtig sind – als Institution des Trostes, der Hoffnung und Vergewisserung. Dieser Auftrag ist weder an konkrete Gebäude noch an bestimmte Formen gebunden. Und auch wenn wir eine Zeitlang auf die gewohnten Gottesdienste verzichten: Wir verzichten damit nicht auf Gebet, Andacht und Seelsorge.
Vielerorts wird nun nachgedacht über neue Formen, Gottesdienst zu feiern und Kirche zu sein, die den Menschen nahe ist: So kann der Gottesdienst im Internet gestreamt werden. Oder die Predigt wird zum Mitnehmen in einen Kasten an der Kirchentür gelegt; um sie etwa zu lesen im Hausgottesdienst. Telefonseelsorge wird wichtiger werden, Fernseh- und Rundfunkgottesdienste ebenso.
Gemeinden könnten Einkaufsdienste organisieren für Ältere, die nicht aus dem Haus gehen wollen. Alles, was hilft, um einander im Blick zu behalten, einschließlich der Kinder, Eltern und Alleinerziehenden. Auch die Fürbitte für erkrankte, gefährdete und helfende Menschen ist eine konkrete Form, der Gemeinschaft in Jesus Christus Ausdruck zu verleihen.
Möglicherweise wird hier bereits die Kirche von morgen sichtbar, die sich ohnehin in neuen Formen vollzieht. Eine Kirche, die existenziell herausgefordert ist durch gesellschaftlichen Wandel. Eine Kirche auch, die sich immer wieder in Bedrängnis erlebt, die sich aber von Christus getröstet weiß und diesen Trost einer Welt vermittelt, die ihn dringender braucht denn je.
Lassen Sie uns also getrost durch die schwierige Zeit gehen – gemeinsam, mit maßvoller Besonnenheit und Gottvertrauen. Wir wünschen Ihnen von Herzen einen gesegneten Sonntag Lätare!
Ihre
Kristina Kühnbaum-Schmidt, Landesbischöfin der Nordkirche
Gothart Magaard, Bischof im Sprengel Schleswig und Holstein
Kirsten Fehrs, Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck
Tilman Jeremias, Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern